lexer&boulanger bücher, texte, unfug

GEGENWARTSLITERATUR 2403

Plan B

Das Digitale kämpft gegen das Animalische und ist vielleicht identisch damit! Wer einmal ein File um diesen Kampf hat verschicken wollen, kennt das Gefühl, plötzlich am Präsentierteller eines Geheimdienstes zu liegen.
Elisabeth Schicketanz und Robert Boulanger lassen bereits auf der Eingangsseite mit den biographischen Angaben keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sie hervorragende Liebhaber von Hunden und Experten der digitalen Welt sind. Beide Welten sind folglich die Leitschienen für einen Wiener Spionagethriller, der eine Story ausrollt, die jeden von uns überrumpeln könnte, sofern wir eine Maus oder eine Hundeleine halten können.
Dabei beginnt im Prolog alles sehr erfolgsversprechend, die Studenten Chris und Oliver haben das Spähprogramm HUDINI entwickelt, das quasi im Handumdrehen alle noch so verschnörkelten Programme auslesen kann. Durch einen blöden Zufall saugen sie einem Agenten, der in einem Wiener Hotel den Laptop offen gelassen hat, wertvolle CIA-Daten ab.
Ein Hund entdeckt bald darauf den erschossenen Chris, für einen Selbstmord reicht der Schusswinkel nicht, also nimmt selbst die österreichische Kriminalpolizei an, dass es sich um Mord handelt. Bald einmal bilden sich drei Gruppen, die sich gegenseitig durch den Thriller jagen.
Als Leser werden wir Zeugen amerikanischer Umtriebe in Wien wie zu guten alten Dritte-Mann-Zeiten. CIA-Agenten versuchen die Daten zurückzubekommen und rund um den Erschossenen bildet sich eine Studentenbande, die im Stile der „Fünf Freunde“ durch die Stadt flieht. Und hinterher rennt wie immer die Polizei, die ihren wertvollen Mitarbeiter durch einen trivialen Messerstich ruhig gestellt bekommt, ehe sie diesen von sich aus ruhig stellt.
An allen entscheidenden Punkten ist ein Hund beteiligt, im Umkehrschluss bedeutet das, dass das Verbrechen jeweils einen Schritt weiterkommt, wenn ein Hund auftaucht. Tatsächlich wird auch eine zweite Leiche eher sinnlich als digital geortet. Das ist überhaupt die zentrale Frage: Gibt es in einer Welt der Vernetzung und Überwachung noch physische Löcher, durch die man entkommen kann? Die Studententruppe packt alle Tricks aus wie Handy zur falschen Ortung einer Straßenbahn mitschicken, Kommunikation über Einweggeräte abwickeln, flüstern von Gesicht zu Gesicht, oder in einem Weinkeller untertauchen.
Bemerkenswert ist jedenfalls die Durchdringung unseres Alltagslebens mit diversen Spionagevorgängen. Um die Überwachungsnetze auszutricksen, muss man quasi nach einem Plan B leben, man schickt einen Lebensentwurf ins Netz und macht dann aber was anderes. So entwickelt sich das Leben auf einer Sub-Ebene, die durchaus kreativ ausfallen kann.
Agenten, Studenten und Kripo lösen schließlich den Fall, so viel darf verraten werden, es geht dabei sehr österreichisch zu. – Plan B ist an der Oberfläche eine Spionagethriller, in seinen tiefen Sinnschluchten freilich ein Lebensmodell für die letzten Individualisten, ob sie nun mit der Maus oder dem Hund unterwegs sind.

Helmuth Schönauer 14/09/15